Ungezählte Obdachlose

Bild Prof. Dr. Thomas Beyer, Landesvorsitzender
Gastbeitrag des AWO-Landesvorsitzenden Prof. Dr. Thomas Beyer, erschienen in der Mittelbayerischen Zeitung vom 5. März 2019, Seite 4

Für insgesamt 289 laufende Erhebungen ist das Bayerische Landesamt für Statistik nach eigenen Angaben verantwortlich. Nicht ermittelt wird, wie viele Menschen in Bayern wohnungslos sind. Dazu fehlt den Statistikern die benötigte gesetzliche Vorschrift.

Unter den amtlichen Zahlen findet sich unter anderem die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die jährlichen Gästeankünfte, der Stand der Bevölkerung. Was man vergeblich sucht: Eine Zahl zu den Menschen, die im Freistaat entweder keine angemessene oder keine Wohnung haben.

Ein entsprechendes Instrument einzuführen, ist kein Hexenwerk, denn in Nordrhein-Westfalen (NRW) wird seit Jahrzehnten eine Wohnungslosenstatistik geführt; Projekte z.B. für Frauen werden an ihr ausgerichtet.

Die Bayerische Staatsregierung dagegen weigert sich, eine Statistik einzuführen, mit der nicht nur die Gesamtzahl der Wohnungslosen jährlich ermittelt, sondern auch nach Geschlecht, Alter sowie Grund, Art und Dauer der Wohnungslosigkeit differenziert wird. Nach einer Diskussion im sozialpolitischen Ausschuss des Landtags ließ eine Abgeordnete der Freien Wähler jüngst verlautbaren, man wolle lieber in gezielte Projekte investieren als „Geld für Statistiken zu verbrennen“. Wie soll das funktionieren ohne Datengrundlage?

Es gehört politischer Mut dazu, eine Wohnungslosenstatistik zu veranlassen, denn diese offenbart, wo der Sozialstaat schwächelt, wo ihm soziale Inklusion misslingt, wo die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. Derlei Ergebnisse sollten ungeschönt in den Sozialbericht jedes Bundeslandes und auch der Bundesrepublik fließen.

Es ist natürlich einfacher, wie es die Bayerische Staatsregierung à la Vogel Strauß-Manier tut, die Armutsberichterstattung im Sozialbericht zu marginalisieren und Zahlen zu Menschen ohne adäquaten Wohnraum auf gelegentliche, methodisch nicht gesicherte Stichtagserhebungen zu beschränken. Selbst diese statistischen Ausschnitte belegen, dass es auch im reichen Bayern zu viele Wohnungslose gibt. Das kann sehen, wer durch die Städte geht.

Wohnungslosigkeit kann viele Menschen treffen: Tagelöhner, Menschen mit Schulden, Rentner, die wegen Eigenbedarfs aus ihrer Wohnung geklagt werden, Migran-ten, kinderreiche Familien. Es muss der Staatsregierung wert sein, zu erfahren, wie viele betroffen sind. Eine amtliche Wohnungslosenstatistik ist ein Muss, keine Option.

Prof. Dr. Thomas Beyer
Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Bayern