AWO-Doppelspitze Nicole Schley und Stefan Wolfshörndl kommentieren 5. Bericht zur sozialen Lage in Bayern: „Frau Ministerin, bitte nachsitzen – Thema verfehlt“

Sozialministerin Ulrike Scharf verweigert sich den Inhalten des 5. Sozialberichts – Arbeiterwohlfahrt fordert Kindergrundsicherung, bezahlbaren Wohnraum und Bildungsreform.

„Sozialministerin Ulrike Scharf hat im Rahmen ihrer ersten Regierungserklärung die Chance verpasst, mit dem 5. Sozialbericht eigene Akzente zu setzen und die Ergebnisse ehrlich zu diskutieren, stattdessen hat sie weiß-blaue Nebelkerzen Richtung Berlin geschleudert und den Sozialbericht nur am Rande erwähnt. Frau Ministerin, bitte nachsitzen – Thema verfehlt“, erklären Nicole Schley und Stefan Wolfshörndl, die Landesvorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern.

In einer ersten Stellungnahme erklärt die AWO-Doppelspitze: „Neuer Bericht, alte Vorgehensweise – leider. Auch ihren fünften Bericht zur sozialen Lage in Bayern baut die Staatsregierung als politische Leistungsschau auf, statt dem ihr durch den Landtag erteilten Auftrag zu erfüllen. Dieser lautet klar, dass die soziale Lage benachteiligter Personengruppen in Bayern zu beschreiben und diese auf ihre Ursachen hin zu untersuchen ist. Dem wird die Staatsregierung nicht gerecht und muss hier dringend nacharbeiten. Im Gegensatz dazu verwendet die Staatsregierung, wie bereits vor fünf Jahren, relativ altes Datenmaterial und wendet statistische Kniffe an: Als Bezugsgröße für die Armutsgefährdungsquote wird im Bericht der Bundesmedian, und nicht, wie es rechnerisch korrekt wäre, der Landesmedian zugrunde gelegt. Von einer tatsächlichen Beteiligung von Armut betroffener Menschen an der Erstellung kann nicht die Rede sein. Doch die Verschleierungstaktik geht nicht auf, trotz allem wird aus dem Bericht deutlich: Das reiche Bayern befindet sich in einer sozialen Schieflage.“

Der implizierte Vergleich mit anderen Bundesländern, in denen die Lage dramatischer scheint, ist laut Schley und Wolfshörndl fehl am Platz. Was für den Leistungssport gilt, gilt auch für die bayerische Politik. Man wird nicht besser, wenn man sich immer mit schlechter abschneidenden Ländern vergleicht. Wer bei jeder Gelegenheit Bayerns Führungsrolle betont, muss diese auch bei der Armutsbekämpfung übernehmen. Der Freistaat ist auch 2022 mehr als Laptop und Lederhose. Er ist Tafelladen, Obdachlosigkeit, Altersarmut, prekäres Beschäftigungsverhältnis und soziale Benachteiligung. Jede*r einzelne Mensch zählt, hat ein Recht auf ein auskömmliches Leben und die Unterstützung der Gemeinschaft.“

Auch der dritten Anforderung, die die Parlamentarier vor fast 25 Jahren an den Sozialbericht und somit die Staatsregierung stellten, wird diese nicht gerecht: „Vorschläge zu unterbreiten, wie insbesondere durch Maßnahmen und Hilfen der Landespolitik sowie Änderungen der bundespolitischen Rahmenbedingungen die festgestellten Probleme gelöst und Defizite beseitigt werden können.“ (LT-Drs. 13/4406)

Schley und Wolfshörndl: „Die soziale Schieflage wird sich allen Prognosen nach weiter verschärfen. Durch die Inflation steigen die Lebenshaltungskosten konstant, die Löhne aber entwickeln sich nicht mit der gleichen Dynamik. Das wachsende Missverhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen wird in der Armutsgefährdungsquote nicht direkt abgebildet. Die Staatsregierung wird ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie sich auf vermeintlichen Vor-Krisen-Lorbeeren ausruht. Angezeigt ist es, Probleme klar zu benennen, Ursachenforschung zu betreiben und die eigenen Handlungsspielräume auszunutzen. Dazu gehört, dass Bayern die Einführung einer Kindergrundsicherung auf Bundesebene unterstützt und das Land endlich eine Bildungsreform startet, die zu gerechten Chancen für alle Kinder und Jugendliche führt. Zentrales Ziel muss ebenfalls sein, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, denn Bayern ist das Land, in dessen Städten und Landkreisen die bundesweit höchsten Mieten und Immobilienpreise gezahlt werden. Nicht zuletzt die Wohnkosten treiben immer mehr Menschen in die Armut, ebenso wie die steigenden Lebenshaltungskosten, mit denen die Entwicklung von Löhnen und Sozialleistungen in Einklang zu bringen sind.“