AWO-Chef Beyer: „Analphabetismus muss enttabuisiert werden“

Der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt in Bayern fordert zum Weltalphabetisierungstag am 8. September mehr Kurse, eine öffentlichkeitswirksame Kampagne und das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger

In einem Land, in dem zahlreiche Kleinkinder bereits in der Kita mit einer Fremdsprache vertraut gemacht werden, ist es stigmatisierend, wenn Erwachsene nicht so gut genug lesen und schreiben können, wie es den gesellschaftlichen Anforderungen entspricht (funktionaler Analphabetismus). Kein Wunder, dass die Dunkelziffer als entsprechend hoch eingeschätzt wird.

Laut einer der wenigen belastbaren Studien zum Thema, die die Hamburger Universität bereits 2011 durchgeführt hat, sind rund 7,5 Millionen Menschen deutschlandweit (funktionale) Analphabeten, im Freistaat wird diese Personengruppe mit 700.000 Menschen beziffert. „Analphabetismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen muss enttabuisiert werden und darf auf keinen Fall als persönliches Schicksal oder gar selbstverschuldet ausgelegt werden, denn in den meisten Fällen gibt es triftige Gründe, weshalb Menschen nicht gut genug lesen und schreiben lernen konnten“, erklärt Thomas Beyer, Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt in Bayern, anlässlich des Weltalphabetisierungstags am 8. September. Viele der von Schreib- und Leseschwäche Betroffenen konnten wegen langer Krankheit oder fortdauernder familiärer Probleme nicht regelmäßig die Schule besuchen. In zahlreichen Fällen waren bereits die Vorfahren (funktionale) Analphabeten.

In Bayern gibt es das Landesprogramm „ALPHA+ - besser lesen und schreiben“, mit dem Kurse gefördert werden, in denen Menschen Grundkompetenzen wie Schreiben und Lesen erlernen. Beyer: „Diese Initiative begrüße ich. Dennoch fordere ich mehr Geld für ausreichend Alphabetisierungskurse und vor allem eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, mit der über das Problem und Lösungsansätze informiert wird. Und selbstverständlich ist das Verständnis jedes einzelnen Bürgers vonnöten, damit funktionale Analphabeten sich trauen, Hilfsangebote zu suchen und anzunehmen.“